“Gravity” hatte in den USA gerade den erfolgreichsten Kinostart aller Zeiten im Oktober. Das ist umso erstaunlicher als es sich dabei nicht gerade um einen 0815-Blockbuster handelt. Harry-Potter-3-Regisseur Alfonso Cuarón lässt den gesamten Film im Weltraum in Sichtweite der Erde spielen und es kommen lediglich zwei Figuren vor. Dieses extrem reduzierte, kompromisslose Konzept trifft auf eine einfache Überlebensgeschichte: Wissenschaftlerin Ryan Stone (Sandra Bullock) ist zusammen mit dem coolen Commander Matt Kowalski auf Reperaturmission beim Weltraumteleskop Hubble als eine missglückte Satellitenzerstörung eine Kettenreaktion auslöst. Die NASA kennt dieses Horror-Szenario als ‘Kessler-Effekt’ bei dem unkontrollierter Weltraumschrott in der Umlaufbahn immer mehr der teuren Technik vernichtet – so gesehen ist “Gravity” keine Sciene-Fiction. Im Film überleben die beiden Astronauten den Einschlag nur knapp. Das Beunruhigenste jedoch ist, dass der Funkkontakt zur Bodenstation abbricht – Houston antwortet nicht. Das ist der wesentliche Unterschied zur technik-lastigen Verfilmung der berüchtigten “Apollo 13”-Mission (“Houston, we have a problem”).
Cuaróns Weltall-Odyssee ist weitaus experimenteller und steht damit zwischen dem Tom-Hanks-Klassiker und visionären Filmen wie Kubricks gefährlich langsamen “2001 A Space Odyssey”. Vorallem auf visueller Ebene steht “Gravity” zweiterem in nichts nach: Der renommierte Kameramann Emmanuel Lubezki (“Tree of Life”) schafft es mit langen bewegten Einstellungen ein Gefühl für die Schwerelosigkeit zu erzeugen, das durch den 3D-Effekt eine unglaubliche Kraft entwickelt. Noch nie war 3D passender – ‘Raumerfahrung’ als Essenz des Kinos. Diese körperliche Transgression bekommt man als Zuschauer sonst, außerhalb des Horror-Genres, selten zu spüren. Wenn Ryan hilflos im Weltraum herumdriftet, wird man auch als Zuschauer in diese völlige Orientierungslosigkeit hineingezogen, trotz der melancholischen Erdkugel, die immer wieder im Hintergrund auftaucht.
“Gravity” wagt damit einen Spagat zwischen einem fast schon experimentellen Kino von Kubrick’schem Zuschnitt ohne dabei auf der anderen Seite die Grundregeln des Erzählkinos in Richtung Langeweile zu brechen. Man kann auch diese Odyssee als philosophische Allegorie lesen; an der spannenden Oberfläche passiert innerhalb der Hollywood-Standardlänge von 90 Minuten jedoch einiges an Action. Sandra Bullock (auf dem Weg zu einer Oscar-Nominierung) spricht zur Not mit sich selbst um der Stille des Weltraums etwas entgegenzusetzen, auch wenn die Haupt- und die Nebenrolle eher holzschnittartig angelegt sind. Diese Mischung könnte man als missglückten Kompromiss sehen – oder als mutiges Kunstkino für alle. Dass sie jedoch überhaupt möglich und finanzierbar ist, sollte die Kritiker eines vermeintlich unambitionierten Hollywood-Kinos Lügen strafen.
[erschienen in Die Dolomiten, Print-Ausgabe vom Fr 11.10.2013]
UPDATE:
- This funny recut of the gravity trailers as a Rom Com:
- BoxOfficeMojo analysis of the initial success: http://www.boxofficemojo.com/news/?id=3738&p=.htm
- What some of the bolder american collegues say:
- and a reaction to the teaser: