Flucht in die Wand – Review 3096 Tage

Natascha Kampuschs Gefangenschaft als Film

 

“3096 Tage” hat Natascha Kampuschs Freiheitsentzug also gedauert und so heißt auch ihre Autobiographie und deren Verfilmung. Die Geschichte ist weltweit bekannt und ebenso einfach wie unvorstellbar: Der arbeitslose Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil baut sich in seinem Haus in Gänserndorf ein Kellerverlies und entführt ein 10-jähriges Mädchen auf dem Schulweg. 8 Jahre später kann sie flüchten und er wirft sich vor den Zug. Die Machtbeziehung, die sich über diese lange Zeit zwischen den beiden entwickelt, ist überaus interessant. Darum dreht sich der Film. Es werden zwischen dem kurzen Prolog und Epilog in Freiheit einzelne Szenen aus der 8-jährigen Gefangenschaft erzählt, die mit Inserts einem bestimmten Tag zugeordnet werden. Es ist erstaunlich wie flüssig das gelingt. Denn die Dramaturgie dieses spektakulären Falles ist alles andere als filmisch. Die Herausforderung der Drehbuchautoren (darunter der verstorbene Produzent Bernd Eichinger) bestand dabei in der paradoxen Situation, einen klaren Rahmen und Berichte des Geschehenen zu haben, aber zugleich auch eine große Freiheit den Alltag innerhalb dieses Rahmen zu erzählen. Der moralische Spielraum ist aber im wahrsten Sinne des Wortes klein. Was wird erzählt, gezeigt? Wie lässt sich diese seltsame Beziehung inszenieren? Wenn der Peiniger dem kleinen Mädchen die Prinzessin auf der Erbse vorliest und sie ihn um einen Gute-Nacht-Kuss bittet, kann die Erzählung einer erlebten Realität leicht in bedeutungsschwangere Sinnbilder umschlagen. Regisseurin Sherry Hormann (“Wüstenblume”) überzeichnet jedoch nicht. Ihre Inszenierung bleibt betont leise und zurückhaltend auch wenn sie jene psychischen und sexuellen Vergewaltigungen zeigt, die Kampusch selbst in ihrem Buch noch ausgespart hatte. Die beiden Hauptdarsteller Antonia Campbell-Hughes und Thure Lindhardt bewältigen ihre schwierigen Aufgaben außerordentlich gut, wobei erstere die Tortur allein schon durch ihren abgemagerten Körper deutlich macht. Die Figur des Wolfgang Priklopil – glaubhaft als Muttersöhnchen und Sadist – muss trotz einiger Szenen mit seiner Mutter unverständlich bleiben. Diese Perspektive ist beabsichtigt, es ist Natascha Kampuschs Geschichte.

Auch die Bilder von Michael Ballhaus sind von einigen Ausnahmen abgesehen ruhig und alltäglich, das biedere Wiener Vorstadt-Häuschen mit Kellerverlies bleibt unscheinbar. Lediglich auf der Tonebene kommen gezielt Effekte zum Einsatz. Der Film geht bewusst nicht an die Grenzen, will weder Tränen und Drama noch Ekel und Klaustrophobie provozieren, bleibt in einer sicheren berichtenden Distanz. Diese extreme Geschichte funktioniert auch ohne filmische Extreme. Die Mischung aus Voyeurismus und Abscheu, die den Medienberichten solcher Verbrechen zu eigen ist, wird hier nicht bedient. “3096 Tage” ist ein unspektakulärer Film. Und vielleicht ist das auch gut so.

[erschienen in Die Dolomiten, Print-Ausgabe vom 27.3.2013]

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