Buntes Märchen als bildgewaltiges Attraktionskino – Review LIFE OF PI

Rund um Weihnachten ist im Kino die Zeit für Märchen. “Life of Pi” des Oscar-Preisträgers Ang Lee fällt – im Unterschied zu seinem “Brokeback Mountain” – eindeutig in diese Kategorie. Moderne Kino-Märchen zeichnen sich vorallem durch die Dominanz der bunten Bilder aus. Mit der Verfilmung des raffinierten Erfolgs-Romans von Yann Martel beweist Lee wiederum, dass er ein Meister der filmischen Opulenz ist. Schon in seiner wunderschön-traurigen asiatischen Doppel-Liebesgeschichte “Crouching Tiger, Hidden Dragon” reicherte er einen recht simplen Plot mir der Eleganz von Kongfu, atemberaubenden Landschaften und außereuropäischem Flair an. Diesmal ist es nicht das alte China, sondern – dem momentanen Trend folgend – das filmische Traumland Indien. Das mag für eine Hollywood-Produktion durchaus auch finanzielle Gründ haben; der Crossover-Film ist gerade beim asiatischen Millionen-Publikum sehr erfolgreich gestartet. In erster Linie verleiht es dem Märchen aber eine farbenprächtige Exotik, die im Westen gut ankommt. Wie der Protagonist ist auch der Film auf einer Reise von Indien in den Westen. Die Geschichte ist ebenso einfach wie märchenhaft: Der junge Pi will mit seiner Familie und den Zootieren seines Vaters nach Kanada übersetzen. Ein Sturm lässt ihn als einzigen Überlebenden auf einen Rettungsboot zurück, zusammen mit einem bengalischen Tiger. Um diese Beziehung während des 227 Tage dauernden Überlebenskampfes auf See geht es in “Lif of Pi”. So gesehen ist der Film auch eine Art Liebesgeschichte zwischen Mensch und Tier.
Märchen liefern mit ihrer scheinbaren Einfachheit oft auch eine moralische Botschaft mit. In “Life of Pi” sollte man sich davon aber nicht allzusehr irritieren lassen; die (inter)religiöse Moral der Geschichte ist bei weitem nicht so aufdringlich wie mancherorts beklagt. Ang Lee nimmt das Märchen wörtlich; die Interpretation kommt erst am Schluss. Alles andere als tiefsinnig setzt der Film also stattdessen voll und ganz auf seine visuelle Magie (ähnlich wie Camerons “Avatar”). Damit ist die farbenprächtige Odyssee eine zweistündige Reise zurück zu den Anfängen des Kinos als Spektakel – das kitschige Pathos des Erzählfilms tritt fast ganz hinter das Kino der Attraktion zurück. Noch nie war 3D so sinnvoll wie in diesem Film und selten so schön – die Ozeanwellen sind geradezu spürbar, der Tiger auch. Wenn man es schafft, nicht mehr von “Lif of Pi” zu erwarten und sich darauf einzulassen: gut. Wenn nicht, bleibt nur eine sentimentale Abentauer-Story mit wenig Substanz zurück. Die Bilder sprechen für sich – aber erzählen uns nichts.

[gekürzt erschienen in Die Dolomiten, Print-Ausgabe vom 28.12.2012]

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